Der Thriller The Tourist mit Angelina Jolie (Der fremde Sohn, Wanted, Salt) und Johnny Depp ist ein Re-Imagining des französischen Thrillers Anthony Zimmer - Fluchtpunkt Nizza mit Sophie Marceau und Yvan Attal. Das Projekt befand sich jahrelang in der Entwicklung und hat letztlich nicht weniger als 3 (offiziell genannte) Drehbuchautoren vorzuweisen: Julian Fellowes (Young Victoria), Christopher McQuarrie (Operation Walküre) und Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck (Das Leben der Anderen), der gerne die volle Verantwortung für das Drehbuch übernimmt. Übrigens: Die Verlegung des Handlungsorts von Nizza nach Venedig wird eindeutig dem ersten Autor Julian Fellowes zugeschrieben. Das Re-Imagining basiert auf dem Originaldrehbuch Fluchtpunkt Nizza von Jérôme Salle.
Fluchtpunkt Nizza ist ein temporeicher und unterhaltsamer Thriller, der - abgesehen von den letzten Szenen - nicht enttäuscht. The Tourist sollte auch noch witzig sein. Hört sich doch gut an, oder? Und jetzt erhielt The Tourist nach seinem Verriss seitens der amerikanischen Filmkritiker auch noch die Nominierung für einen Golden Globe in der Kategorie Comedy! Kontroverse belebt bekanntlich das Geschäft....
Leider zeigt The Tourist, dass Florian Henckel von Donnersmarck die Kunst, "leichtere" Unterhaltung zu inszenieren, kein Stück beherrscht. Auch mit einem Budget von $ 100 Millionen und zwei Weltstars ging der Versuch daneben. Wir lachen höchstens über den Film, weil wir nicht gewillt sind, uns darüber zu ärgern. Deshalb drehen sich die Gespräche auch nur darum, was bei The Tourist so alles nicht funktioniert... Zugegeben, das ist nicht ohne Witz und zudem abendfüllend.
Kurz zur Story: Elise Ward (Angelina Jolie) ist die Geliebte des seit 2 Jahren flüchtigen Geldwäschers Alexander Pearce. Sie hat ihn in dieser Zeit nicht gesehen und weiß auch nicht, wie er jetzt aussieht. Alexander hat nämlich einem plastischen Chirurgen über 20 Millionen gezahlt, um sein Aussehen völlig zu verändern. Diese Investition kann er sich locker leisten, denn er wird von Interpol wegen Steuerhinterziehung von schlappen 744 Millionen Pfund gesucht und auch die Russenmafia hat er bestohlen. Beide sind hinter ihm her.
Interpol überwacht Elise, die sie mit Sicherheit irgendwann zu Pearce führen wird. Endlich bekommt sie eine Nachricht von ihm: Sie soll einen bestimmten Zug von Paris nach Venedig nehmen und mit einem Fremden anbandeln, den sie dann Interpol glaubhaft als Alexander Pearce verkaufen kann. Im Zug sucht sie sich den Mathelehrer Frank Tupelo (Johnny Depp, Sweeney Todd, Public Enemies) aus, einen unbedarften Touristen aus der amerikanischen Provinz. Ihn nimmt sie mit ins Luxus-Hotel Danieli und küsst ihn demonstrativ vor den Augen der Überwachungskameras. Mehr bekommt der trottelige Lehrer nicht, wenn man von den Attacken auf sein Leben absieht. Doch Elise plagt ihr Gewissen (oder ist es die Anziehungskraft des Touristen?) und Frank lässt sich auch nicht so leicht abschütteln, wie Elise vielleicht dachte...
Dem Trailer (siehe unten) nach erwartete ich, eine flotte Thriller/romantische Komödie zu sehen. Ein Genre-Mix, an dem sich seit dem erfolgreichen Mr. & Mrs. Smith (weltweit über $ 478 Mios. Einspielergebnis bei Produktionskosten von $ 110 Mios.) etliche Filmemacher die Zähne ausgebissen haben (ich sage nur: Kiss & Kill, Knight & Day...).
Schon in den ersten Minuten wird allerdings klar, dass hier eher Schneckentempo angesagt ist. Auf ihrer Flucht vor Interpol schreitet Elise gemäßigten Schrittes Richtung U-Bahn. Rest-Alkohol oder Valium? Hat sie Angst um ihr Haarteil oder kann sie nicht in den hohen Schuhen und dem engen Rock laufen, was ist hier los? Nichts davon. Angelina Jolie hat in Interviews betont, dass Florian Henckel von Donnersmarck ihr immer wieder gesagt hat, dass sie ihr Tempo drosseln muss. "Langsamer, viel langsamer" hat er gesagt und sie hat's gemacht (siehe Making-Of unten). Wir wissen also mit Sicherheit, dass die Tempoarmut, an der übrigens der ganze Film generell leidet, zur Vision des Regisseurs gehört. Aha. Die behäbige Filmmusik unterstreicht die Tempoarmut.
Für Verwirrung sorgen auch die Kostüme. Beim Anblick der kostümiert aussehenden Elise fragte ich mich, in welchem Jahrzehnt der Film eigentlich spielt und wer die Figur sein soll. Welche Frau legt morgens schon die Abend-Perlen an und macht sich im schwarzen Kostüm samt Handschuhen und Audrey-Hepburn-Sonnenbrille auf den Weg durch das schuh-unfreundliche Venedig? Eine Kunstfigur aus einem 50-er oder 60-er Jahre Film, eine andere Antwort fällt mir dazu nicht ein. Wenn von Donnersmarck sagt, dass er "einen klassischen Thriller im modernen Gewand" machen wollte, hat er die Kostüme logisch nicht gemeint. (Moment, in einer Szene läuft Elise mit übertriebenem Hüftschwung im langen Bleistiftrock und den obligatorischen High Heels durch einen Gang wie Pepper Potts in der Comic-Adaption Iron Man 2. Ob er den Film gesehen hat?)
Was der Regisseur tatsächlich gemeint hat, ist mir leider weiterhin ein Rätsel, denn er scheint sich nicht viele neuere Filme aus dem Thriller/Action Genre angesehen zu haben. Wie sonst soll man sich erklären, dass Franks Flucht über die Dächer Venedigs (und danach durch den Wochenmarkt) angeblich durch von Donnersmarcks Lektüre über Casanova angeregt wurde und es in den Film geschafft hat? Mir fällt bei der Sequenz nur der grottige Bond Film ein, in dem Daniel Craig als James Bond über Dächer und durch einen Basar flüchtet. Schon alleine wegen dieser höchst unglücklichen Assoziation hätte er diese Inspiration in die Tonne treten sollen.
Apropos Assoziation: Neu erdacht wurde ein Ball, den es in Fluchtpunkt Nizza nicht gab. In dieser sicherlich sehr teuren Sequenz dürfen Depp und Jolie miteinander tanzen, wobei wir wehmütig an die witzig-erotischen Tanzszenen aus Mr. & Mrs. Smith denken, denen The Tourist wenig entgegen zu setzen hat. (Der Rückenausschnitt von Elises Robe hüpft von Schnitt zu Schnitt auf und ab und das Stöffchen scheuerte anscheinend bei der ganzen Bewegung und den -zig Takes auch noch an der Abdeckung von Jolies Tätowierung, aber egal.) Die Daseinsberechtigung für den Ball scheint eine einzige witzige Idee zu sein, in die sich anscheinend jemand verrannt hatte.
Johnny Depp hat die undankbare Aufgabe, eine recht unebene Figur darzustellen und darf weder den etwas trotteligen Mathelehrer noch den mutigen Möchtegern-Liebhaber völlig aufdrehen. Er hängt im Limbo fest. Angelina Jolie, die wir so gerne in Action sehen, ist allerdings noch übler dran. Wie schon gesagt, muss sie eine unglaubwürdige Kunstfigur darstellen, die sie sich offensichtlich (siehe Kommentar oben) ursprünglich ganz anders vorgestellt hatte. Wir fühlen deinen Schmerz, denn uns geht's auch nicht anders. Paul Bettany (Die Bienenhüterin, Young Victoria, Legion) hat sich seine Rolle als Inspektor John Acheson schon alleine mit dem Gesichtsausdruck verdient, mit dem er auf den geöffneten Safe reagiert. Superwitzig. (Wir sind auch dankbar für seinen ehrlichen Kommentar zur Regie, siehe unten.)
Der Regisseur hat im Interview erklärt, dass es bei Thrillern enorm wichtig sei, wann welche Informationen dem Zuschauer übermittelt werden. Wir wussten das schon, weshalb uns seine Entscheidungen umso mehr überraschen. Wäre es vielleicht besser gewesen, eine andere Perspektive zu wählen und den Zuschauer zum Beispiel Frank zur Seite zu stellen, damit er sich mit diesem amüsieren kann? Manchmal ist es ganz witzig und sogar hilfreich, wenn der Zuschauer mehr Informationen hat als eine der Hauptfiguren (in diesem Fall Elise). Wir hätten uns zum Beispiel über Franks Nichtraucherdasein und andere Details amüsieren können. Diese andere Perspektive hätte vielen Szenen zusätzlich Humor odar gar ein erotisches Knistern verliehen.
Für gewöhnlich ist es nicht wirklich möglich, eine einzige Person für den Misserfolg eines Films verantwortlich zu machen, weil Film eine kollaborative Kunst ist und viele Künstler ihren Beitrag leisten. Allerdings sind im diesem Falle so viele Kommentare gemacht worden, die auf den Regisseur hinweisen, dass wir geneigt sind, für Florian Henckel von Donnersmarck eine Ausnahme zu machen. Hier ein abschließendes Zitat zu diesem Thema von Paul Bettany: "Florian ist ein Perfektionist, fordernd und peinlich genau. . . Er achtet auf jedes kleinste Detail. Er ist dabei zwar sehr charmant, aber er lässt auch nicht locker, bis er genau das hat, was er will.“ Solcher Perfektionismus kann natürlich der Kollaboration und der künstlerischen Entfaltung der anderen Beteiligten jeglichen Sauerstoff nehmen...
The Tourist Trailer deutsch
The Tourist Making-Of, deutsch
The Tourist -- Genre: Thriller -- deutscher Kinostart: 16.12.2010 -- Länge: 97 Minuten -- FSK: ab 12 Jahren
Drehbuch: Julian Fellowes, Christopher McQuarrie, Florian Henckel von Donnersmarck, basierend auf Fluchtpunkt Nizza von Jérôme Salle.
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
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