06.04.2009

Religulous Kritik + Trailer, Bill Maher, Larry Charles


Wie bereits in meinen Infos + Trailer zu Religulous ausgeführt, ist Bill Maher der bissige Talkmaster diverser Polit-Formate (füher TV-Show Politically Incorrect, jetzt Real Time with Bill Maher) und ein ehemaliger Stand-Up Comedian. Ein erklärter Atheist. In Religulous verbindet er Ernsthaftigkeit und Comedy zu einer amüsanten "satirischen Dokumentation". Amüsant für diejenigen, die kein wöchentliches Date in Kirche, Synagoge oder Moschee haben, die sich nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie sie die Sabbat-Regeln oder das Verbot der Nutzung von Empfängnisverhütungsmitteln geschickt umgehen können, ohne sich schuldig zu machen und zu fühlen - Menschen, die den nötigen Abstand haben... also für Leute wie mich. Ich habe mich köstlich amüsiert.

Produziert von der kleinen Produktionsfirma Thousand Words (Requiem for a Dream, A Scanner Darkly - Der dunkle Schirm) mit einem Mini-Budget von nur rund $ 2,5 Millionen, ist Religulous (Wortschöpfung aus religion und ridiculous) ein sehr persönliches Projekt, bei dem Bill Maher 'mal so richtig Dampf ablassen und seiner ungläubigen Verblüffung Raum geben konnte, und zwar mit viel Humor und vor allem unzensiert. Er bleibt auch nicht in den USA, sondern sieht sich in Israel um, besucht die Niederlande, usw. Obwohl's in den USA stets besonders lustig ist - da gibt's einen göttlichen Freizeitpark/Museum in Orlando (The Holy Land Experience, Foto links Maher mit Jesus-Darsteller), oder auch eine Broschüre mit dem Titel "Gottes Nachname lautet nicht Verdammt". Das hat doch 'was.

Einen coolen Soundtrack gibt's auch dazu, auf dem gibt's u. a. den absoluten Ohrwurm Crazy von Gnarls Barkley, dann Highway 61 Revisited von Bob Dylan, I Think We're Alone Now von Tiffany, Jesus Is Just Alright von den Doobie Brothers, Road to Nowhere von den Talking Heads, Travelin' Band von Creedence Clearwater Revival, etc. Link>Religulous Soundtrack

Mahers These: Religionen sind gesellschaftsschädigend, da sie den Fortschritt behindern oder gar verhindern. (Beweismittel: Die Gläubigen....)

Religulous ist ein Kaleidoskop, das uns zeigt, an was die Menschen so alles glauben. Bill Maher verzichtet bewusst darauf, "ernsthafte" Gespräche mit Pressesprechern der einzelnen Firmen Religionsgemeinschaften zu führen. Was ihn interessiert ist die Meinung und die Erfahrung der "Endverbraucher" und - für den Kontrast - auch die einiger "Zwischenhändler", aber nicht die der "Hersteller" der Ware Religion. Er will keine Plattform für Propaganda sein, wie das so viele Dokumentationen und TV-Diskussionsrunden unweigerlich (auch) sind. Dass dabei von den Interviewten einiges ausgesprochen wird, dass sich sehr entlarvend anhört, nun, das ist wohl kaum der Fehler von Bill Maher. Aber willkommen ist das natürlich, denn...

Es geht in Regilulous schließlich nicht um einen Club von Briefmarkensammlern oder eine Wandergruppe, die einfach nur ihrem Hobby nachgeht, ohne dass das Auswirkungen auf ihre Mitmenschen hat. Hier geht's um Manipulation der Menschen, Meinungsmache und zu keinem kleinen Teil um knallharte Politik.

Und das ist auch das Beunruhigende: Die Verbindung von Religion und Politik, auch heute noch, wie man besonders deutlich/schmerzlich Anfang des Jahres in den USA beobachten musste. Dass Bill Maher dieses wichtige Thema trotzdem so witzig und unterhaltsam präsentiert lässt hoffen, dass nicht nur Atheisten oder grenzgängige Agnostiker sich Religulous ansehen. (Anlass zur Hoffnung? Religulous belegt mit einem Einspielergebnis von bis dato über $ 13 Mios. in den US-Documentary-Charts den 7. Platz - und zwar nicht nur im Erscheinungsjahr, sondern insgesamt.)

Den nötigen Abstand zu organisierten Religionen hat Bill Maher, Sohn einer nichtpraktizierenden Jüdin und eines Katholiken schon lange, denn seine Eltern wandten sich frühzeitig von der Kirche ab, wie uns zu Beginn von Religulous Mutter Maher mitteilt. Die verantwortungslose und völlig überholte Haltung der katholischen Kirche zum Thema Empfängnisverhütung sei für die Entscheidung der Familie Maher ausschlaggebend gewesen. Dass die katholische Kirche zu dem Thema überhaupt eine Meinung hat zeigt schon, dass sich Religionsgemeinschaften sogar in die intimsten Aspekte des Lebens ihrer Mitglieder überall auf der Welt einmischen bzw. einzumischen versuchen. Religulous zeigt unter anderem auf, dass man auf der Suche nach bizarren Vorschriften (und witzigen Umgehungsmethoden derselben) keinen "Kult" besuchen muss, der nur wenige Tausend Mitglieder aufweisen kann, sondern sich einfach die gängigen und größten Anbieter und ihre fanatischsten, ernsthaftesten Anhänger anzusehen braucht, um fündig zu werden. Wobei sich, wie man in Religulous sehen kann, einige der Mitglieder ernsthaft Regeln unterwerfen, die etliche Kirchenvertreter einfach übertreten.

Was diversen verteufelten Kulten immer wieder lauthals angekreidet wird - dass sie sogar schon Teenager ansprechen - haben die etablierten Religionen nicht nötig, denn ihnen werden sogar schon Babies zum Ritual der Taufe gebracht, die später zur wöchentlichen Manipulierung in diverse Kindergottesdienste geschickt werden und parallel in den Religionsunterricht/Konfirmandenunterricht/etc., sobald sie alt genug sind. Das mag die Erklärung für das Phänomen sein, dem Religulous auf den Zahn fühlt, dem Mangel an Kritik aus den eigenen Reihen. Denn viele kommen selbst als Erwachsene nicht auf die Idee, ihre Mitgliedschaft zu überdenken. Auch diejenigen nicht, die täglich mehrmals eine Reihe der Gesetze übertreten, die ihre Religionsgemeinschaft vor ewigen Zeiten ins Leben gerufen hat.

Was Maher an den Gläubigen aller Richtungen besonders verblüfft ist deren absolute Überzeugung, mit der sie glauben, ihren Glauben verteidigen und missionieren. Immer wieder werden Gespräche abgebrochen, als Maher es wagt, kritisch zu fragen. Warum hinterfragen, wenn die Menschen um einen herum und sogar Staatsoberhäupter immer wieder so tun, als sei das alles das Normalste von der Welt? Wenn Kirchenvertreter zu politischen Diskussionen eingeladen werden, wo sie doch im Grunde absolut nichts verloren haben? Durch derartige Auftritte wird die Existenz dieser Vereine immer wieder validiert.

Schade eigentlich, dass Religulous schon letztes Jahr fertiggestellt wurde. Denn erst dieses Jahr hat das sich gerne als "harmlos" präsentierende Christenheer wieder höchst aktiv menschenverachtende Politik gefördert - durch Propaganda-Videos und jede Menge fleißiger Klinkenputzer, die mit voller Absicht auch noch Präsident Obamas Standpunkt zum Thema missrepräsentierten - und durchgebracht, als im US-Staat California zur Proposition 8 abgestimmt und als Folge die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren nach einem kurzen Gastspiel wieder abgeschafft wurde. Bill Maher interviewte nämlich für Religulous auch John Westcott von Exchange Ministries - den bekannten "vormals schwulen" Prediger, der eine "vormals lesbische" Frau geheiratet hat. Eine Beschreibung, der der dreifache Vater energisch widerspricht, denn sein Standpunkt: Es gibt gar keine homosexuellen Menschen. Gibt es nicht, deshalb war er auch nie schwul. Die Menschen sind einfach verwirrt, unzufrieden und neurotisch und machen dann solche Sachen. Hört sich an, als hielte er Homosexualität für eine Droge oder eine Krankheit. Auf jeden Fall meint er, dass alle homosexuellen Menschen todtraurig sind.

Religulous
zeigt auf, wie ähnlich sich die verschiedenen Glaubensrichtungen sind. Von dem Vorhandensein von für Außenstehende bizarr anmutenden Ritualen (z. B. Abendmahl, Beschneidung) bis hin zu ähnlich klingenden Enstehungsgeschichten. Doch mit Gemeinsamkeiten braucht er den Gläubigen nicht zu kommen, da fühlen sie sich schnell auf den Schlips getreten. Auch darf auf keinen Fall erwähnt werden, welche Religion älter ist als die andere, eigentlich ja ein harmloser Fakt. Doch mit Fakten hat man nicht viel am Hut. In diesen spannungsgeladenen Momenten, in denen sich die Gläubigen anscheinend automatisch an das erste Gebot - "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir" - erinnern, fallen schnell die Gott-ist-Liebe Masken. Schließlich sind die von Maher untersuchten 10 Gebote super-wichtig und enthalten doch das Wort Nächstenliebe nicht. Oder Toleranz. Oder Respekt gegenüber anderen Kulturen. Das schon gar nicht, denn siehe 1. Ökumenische Gottesdienste hin, "Mischehen" her, spätestens, wenn die Bibel nicht Grundlage einer Glaubensrichtung ist, wird's kritisch. Zwar stinkt Mist immer, egal, welchen Namen man ihm gibt, doch mit den Riechorganen der Interviewten ist es halt so eine Sache...

Bill Maher ist nicht ohne Sympathie für die Gläubigen, die er trifft, zum Beispiel eine Gruppe Trucker in einer behelfsmäßigen Autobahnkapelle. Durch die Bank einfache Menschen und gute Christen, die kein Problem mit "blindem Glauben" haben. Arm aber ehrlich, so die Devise. Für sie ist die Bibel das Wort Gottes und Ende. Dem stellt Maher einen "Zwischenhändler", also einen Prediger im teuren Maßanzug und Schuhen gegenüber, der nicht gerade an mangelndem Selbstbewußtsein leidet...

Kann man etwas lernen? Sicher doch. Ich wusste nichts von der Existenz des Holy Land Experience und dass sich schlaue Menschen sogar Apparate ausgedacht haben, mit denen sich am Sabbat halbwegs leben lässt, das war mir auch nicht bekannt. Schön, dass gezeigt wurde, wie schnell ernsthaft religiöse Menschen aggressiv werden können. Zu oft wird solche Irrationalität nur einer bestimmten Glaubensrichtung zugeschrieben und mit Freude in den Medien breitgetreten. Eigene Tür und so? Heilige Kuh...

Wer die von Religulous-Regisseur Larry Charles kreierte und geschriebene Serie Curb Your Enthusiam - Lass es, Larry!, in der er auch die Hauptrolle spielt kennt, für den ist klar, dass sich hier zwei Gleichgesinnte gefunden haben, denn Charles kann, genau wie Maher, auch vieles von dem nicht nachvollziehen, was im Mainstream so abläuft. Willkommen im Club.

[PS Berlin stimmt am 26.04.09 zum Thema Ethikunterricht per Volksentscheid ab. Die Abschaffung des - staatlich finanzierten - Religionsunterrichts steht *nicht* zur Debatte. Statt dessen sollen die Schüler gezwungen werden, sich zwischen Ethik und Religion zu entscheiden (kein Scherz. Oh, die Ironie...). Mit NEIN erreicht man, dass weiterhin *alle gemeinsam* über Werte und Ethik reden und dieser Dialog *nicht unter Ausschluss der Reli-Schüler* stattfindet. Der Senat/Das Abgeordnetenhaus von Berlin empfiehlt: NEIN zur Wahlpflicht.]

Religulous -- Genre: Dokumentation/Satire -- deutscher Kinostart: 02.04.2009 -- FSK: ab 12 Jahren.
Drehbuch: Bill Maher
Regie: Larry Charles (TV: Curb Your Enthusiasm. Kino: Borat)

Religulous deutscher Trailer



Religulous Trailer engl.



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