12.04.2011

Alles was wir geben mussten - Kritik + Trailer - Knightley, Mulligan, Garfield

Die Literaturadaption Alles, was wir geben mussten mit Carey Mulligan (An Education, Public Enemies, Brothers, Wall Street 2), Keira Knightley und Andrew Garfield in den Hauptrollen dürfte in erster Linie die Fans des Bestsellers des britisch-japanischen Schriftstellers Kazuo Ishiguro begeistern. Andere Zuschauer könnten den Film als handlungsarm, die Dreiecksgeschichte als ausgelutscht und die Perspektive der Geschichte per se als zu eng gefasst empfinden. Alles, was wir geben mussten bietet etwas Gesprächsstoff und einige Interpretationsmöglichkeiten, die über die offensichtlich präsentierte Banalphilosophie hinausgehen. (Link zum Buch: Alles, was wir geben mussten )

Der erste Akt des in einer Parallelwelt angelegten Alles, was wir geben mussten spielt 1978 und führt uns in das englische Internat Hailsham, wo Tommy, Ruth und Kathy zusammen mit anderen Kindern aufwachsen und erzogen werden. Das Trio freundet sich an. Lehrerinnen wie Miss Emily
(Charlotte Rampling) bringen den Kindern ganz systematisch via Horrorgeschichten vor allem eine Sache bei: erlernte Hilflosigkeit. Die Kinder sind dadurch natürlich brav und denken nicht im Traum daran, freiwillig auch nur einen Schritt vom Schulgelände zu tun oder sich einer Anordnung zu widersetzen. Sie sind perfekt abgerichtet. Perfekt für ihren Lebenszweck. (Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung und © 2011 Twentieth Century Fox)

Miss Emily (Rampling)
Die Lehrerin Miss Lucy (Sally Hawkins, Cassandras Traum, Happy-Go-Lucky, An Education) versucht verzweifelt, den Kindern das Denken beizubringen. Sie sollen Alternativen sehen, analysieren, selbstständiger sein. Lucy wird anscheinend von Gewissenbissen geplagt und hat Mitleid mit den Kindern. Das treibt sie dazu, ihnen klipp und klar die Wahrheit über ihr Leben zu sagen. Sie sind Organspender. Dafür wurden die Kinder erschaffen, vermutlich geklont, das ist ihr einziger Lebenszweck. Ihre Lebenserwartung ist nicht sonderlich hoch, sie werden noch nicht einmal ihre Midlife Crisis erleben. Das steht im krassen Gegensatz zu der anfangs mitgeteilten durchschnittlichen Lebenserwartung von 100 Jahren, derer sich die anderen Menschen erfreuen dürfen.

Wenn wir uns die Kinder von Hailsham in ihren eintönigen beigen und grauen Uniformen und mit ihren ID-Armbändern ansehen, dann drängt sich ein Vergleich mit Soldaten auf. Soldaten werden auch einer Art Gehirnwäsche unterzogen. Für sie ist es, wie für die Kids, enorm wichtig, körperlich fit und völlig gesund zu sein. Soldaten werden darauf vorbereitet, für das Gemeinwohl zu sterben. Wenn sie Pech haben, werden sie zum Kanonenfutter, aber das ist bekanntlich ehrenwert. Mir fällt das Lied 19 von Paul Hardcastle ein, der davon singt, dass das Durchschnittsalter der Soldaten in WWII 26 Jahre und in Vietnam 19 Jahre war. Den Soldaten wird ein Feindbild eingebleut und dieser Feind wird nicht als Mensch dargestellt. Feind, Feind, Feind. Nicht Mensch. In der Welt des Films werden die Kids von den Erwachsenen (ausser Miss Lucy) nicht als Menschen angesehen, sondern als Ersatzteillieferanten. Für die Kids ist die Welt außerhalb von Hailsham feindlich und Exkursionen dahin enden laut den Horrorgeschichten mit dem Tod.

Miss Lucy kommt mit ihrer Eröffnung zu spät, der Schaden ist angerichtet und die Kids sind bereits abgerichtet. Sie machen sich erst einmal wenig Gedanken über ihr Schicksal und beschäftigen sich statt dessen mit enorm wichtigen Fragen zu Freundschaft, Liebe und Eifersucht. Für Tommy ist der Kunstunterricht von großer Wichtigkeit. Am Ende von Akt 1 erleben wir einen Zeitsprung.

Die paar wenigen Szenen mit Lucy werfen Fragen auf. Sie wird ja wohl gewusst haben, worauf sie sich bei diesem Job einlässt, was also hat sie sich dabei gedacht? Was will sie erreichen? Natürlich stellt man sich auch eine andere Frage, die Alles, was wir geben mussten ziemlich ignoriert: Wie viele solcher Spendergruppen gibt es eigentlich? Wir lernen noch andere Jugendlichen kennen, die woanders aufgewachsen sind, aber ein klares Bild, das Kontext schaffen würde, ergibt das für den Zuschauer trotzdem nicht.

Ruth (Knightley), Tommy (Garfield)
1985. Auch als junge Erwachsene sind Kathy (Mulligan), Ruth (Keira Knightley, Die Herzogin, Last Night) und Tommy (Andrew Garfield, Von Löwen und Lämmern, The Social Network) völlig handzahm mit Tendenz deprimiert. Einzig der von ihnen durchlebte Hormonsturm zusammen mit diversen romantischen Verwicklungen gleicht dem normaler Jugendlicher. Das Bedürfnis von Ruth, ihr "Original", dessen Klon sie ist, sehen zu wollen, erinnert an reale Horrorgeschichten von jungen Erwachsenen, die verzweifelt versuchen, ihre leibliche Eltern zu finden (Samenspender). Doch Ruth ist nicht verzweifelt. Sie ist einfach nur neugierig und aufgeregt.

Alles, was wir geben mussten ist ein weiterer Film mit fremdbestimmten Protagonisten, die keine Perspektive haben. Ihnen wird antrainiert, sich mit ihrer Märtyrer-Rolle abzufinden, sich sogar darin zu gefallen. Das haben wir gerade in Winter's Bone gesehen und in The Fighter war es ähnlich, wenn auch nicht ganz so krass. Keiner dieser Protagonisten schafft es, sich selbstständig eine eigene Meinung zu bilden, wirklich erwachsen zu werden und sich von seiner Erziehung frei zu machen. Anscheinend gebietet es die Osterzeit, dass wir leiden oder wenigstens mit-leiden. Obwohl wir wissen, dass geteiltes Leid doppeltes Leid ist und damit nur das Leid in der Welt vergrößert wird. Nicht erstrebenswert.

Alles, was wir geben mussten zielt darauf ab, dass wir etwas für Ruth, Kathy und Tommy empfinden. Das funktioniert einfach nicht, auch wenn die Geigen noch so schluchzen. Es wird zwar gezeigt, warum die Figuren in späteren Jahren ihrem "Schicksal" so ergeben sind, aber nah bringt man sie uns damit nicht wirklich. Sie werden nicht zu Menschen, zu Persönlichkeiten. Es macht auch wenig Sinn, uns erst einmal die Beschränktheit der Figuren zu zeigen und dann eben jene Figuren uns ihre Philosophie erzählen zu lassen. Das Leben ist kurz! Liebe ist das Wichtigste im Leben! Für die Liebe lohnt es sich zu leben! Da könnte man glatt zum Zyniker werden und darauf hinweisen, dass es "die Liebe" war, die unsere Protagonisten so beschäftigt hat, dass sie darüber dringende Fragen zu ihrer Selbsterhaltung und Lebenserwartung einfach ignoriert haben bis es zu spät war. Man könnte sie sogar zum "Opium für die Masse" erklären.

Tommy (Garfield), Kathy (Mulligan)
Es hätte vielleicht geholfen, wenn wir die Gegenspieler, ihre Motivation und Denke besser kennengelernt hätten und nicht nur die Opfer. Das hat bei dem thematisch verwandten Beim Leben meiner Schwester sehr gut funktioniert. Dort wurde die Situation zu einem echten Dilemma. Selbst, wenn man für eine Seite Partei ergriff und die Mutter am liebsten erwürgt hätte, so konnte man doch wenigstens ihre Motivation begreifen und verstehen.

Statt dessen wind in Alles, was wir geben mussten viel zu viel Zeit auf die Kindheit der Hauptfiguren verschwendet. So ein Zeitsprung und Schauspielerwechsel ist zusätzlich alles andere als ideal. Zwar hat Carey Mulligan ein wunderbar ausdrucksvolles Gesicht, aber irgendwann ging mir ihr leidender Gesichtsausdruck einfach nur noch auf die Nerven.

Die spannendste Interpretationsmöglichkeit will ich nicht unterschlagen. Dafür beschreibe ich eine mir  unvergessliche Karikatur von Rainer Hachfeld (abgedruckt in KARAKIRI, Satire für harte Zeiten): Ein kleiner, schmächtiger afrikanischer Junge hängt an einem Infusionsständer gerade so, als wäre er eine Flasche bzw. ein Infusionsbeutel mit Medizin. Aus seinem Bauchnabel führt ein Schlauch direkt in den Arm des Patienten. Der im Krankenbett liegende Patient ist ein fetter, weißer Mann, der sich tierisch über die Infusion freut. Der Name des Patienten: Economy. Mir fallen dazu spontan viele Fragen zur Lebenserwartung in Entwicklungsländern, zu Bodenschätzen, zum "Kulturklau" etc. ein.

Eine Frage, die man sich während des Filmes wohl unweigerlich stellt, ist die nach der Schwangerschaftsverhütung. Rein theoretisch müssten doch die Mädels als erstes auf den OP-Tisch, wo ihnen die derzeit in unserer Gesellschaft bereits begehrt erscheinenden Eier entnommen werden. Andererseits ist es auch nicht wirklich verständlich, warum man die natürliche Fortpflanzung nicht sogar unterstützt und den Weg des Klonens geht, das würde doch den ganzen Prozess vereinfachen. Mit dem "Klone sind keine Menschen" Argument kommt man doch eh nicht durch.

Wenn man sich Alles, was wir geben mussten ansieht, dann kommt man nicht daran vorbei, sich zu fragen: Wann kann man eine kranke Schauspielerin nicht mehr casten? Meine Antwort darauf lautet ganz generell: Wenn man ihr ihre Krankheit auf den ersten Blick ansieht, das aber nicht mit der Rolle in Einklang zu bringen ist. Die kranke Schauspielerin Sally Hawkins ist bis auf die Knochen abgemagert und hat anscheinend alle Zähne verloren. Wir haben großes Mitleid mit der leidend aussehenden Frau und hoffen, dass ihre Krankheit, an der sie schon seit Jahren leidet und über deren Natur sie nicht redet, heilbar ist. Gute Besserung. Allerdings kommen wir nicht umhin zu sagen, dass man Hawkins nicht hätte casten dürfen. Mich hat ihr erschreckender Anblick völlig aus der Story geworfen. 

Alles, was wir geben mussten  -- Genre: Drama, Sci-Fi, Literaturadaption -- deutscher Kinostart: 14.04.11 -- Länge: 103 Minuten -- FSK: ab 12 Jahren
Drehbuch: Alex Garland (28 Tage später, Sunshine)
Regie: Mark Romanek (One Hour Photo)

Alles was wir geben mussten Trailer 


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