26.02.2009

Der Vorleser Kritik + Trailer - Winslet, Fiennes, Kross


Der Vorleser ist ein rundum gelungener Film, der mich auf der Berlinale 2009 am meisten beeindruckt hat. Hier stimmt einfach alles: Die interessante Story, die auf spannende Weise erzählt wird und Fragen stellt, die schauspielerischen Leistungen und - ganz besonders aufgefallen -- der beklemmend authentische Look des Films. Da haben sich ein paar Leute wirklich in's Zeug gelegt und ganze Arbeit geleistet. Der Vorleser ist die Adaption des gleichnamigen Romans von Bernhard Schlink. Da ich dem Roman nicht zu seinem Bestseller-Status verholfen habe, konnten mich die Figuren des Films auch mehr als einmal mit ihren Handlungen überraschen (ich werde auch in der Kritik berücksichtigen, dass nicht jeder das Buch gelesen hat, keine Sorge von wegen Spoiler). Und last but not least ist Der Vorleser auch ein Film, der einen nicht kalt lässt, sondern dessen Figuren auch unsere Gefühlswelt ansprechen.

Michael Berg (Ralph Fiennes, Brügge sehen... und sterben?, demnächst: Die Herzogin) ist erfolgreich, gutaussehend und sehr auf (Sicherheits-) Abstand bedacht. Letzteres macht ihm seine Geliebte klar, als sie morgens seine tip-top aufgeräumte Berliner Luxus-Altbauwohnung verlässt. Der Kommentar gibt Anlass zur Rückschau...

Michael Berg (da noch gespielt von David Kross, Krabat, Knallhart, demnächst: Same But Different) wächst in einer bürgerlichen Familie auf. Ein Blick auf die Familie beim Abendessen sagt schon alles - Vater Peter (Matthias Habich, demnächst: Waffenstillstand) und Mutter Carla (Susanne Lothar, demnächst: Das weiße Band) sind verkniffen, die Kinder sitzen aufrecht, in gestärkten Hemden und Krawatten bzw. mit straff geflochtenen Zöpfen und auf dem besten Wege, das Leben ihrer Eltern zu kopieren. Da fehlt die Luft zum Atmen, Raum für Individualität und Kreativität.

Als der hormongebeutelte 15-jährige Michael die wesentlich ältere Hanna Schmitz (Kate Winslet, Zeiten des Aufruhrs) kennenlernt, bekommt er nicht nur Einblick in eine völlig andere Welt, sondern fühlt sich bald als Mann. Er holt für sie die Kohlen aus dem Keller, er liest ihr vor, sie interessiert sich für seine Schularbeiten. Die Liebe zur Literatur verbindet.

Die Liebesgeschichte ist wirklich sehr schön gemacht und nachvollziehbar. Von beiden Seiten. Denn Hanna hat das gleich Problem, das viele alleinstehende Frauen zu der Zeit hatten: Sie muss sich bei jedem Mann in ihrem Alter fragen, was seine Rolle im dritten Reich wohl gewesen sein mag. Denunziant? Nazi? Mitläufer? Hanna wird gewiss nichts auf die Persilscheine gegeben haben, die man sich gerne gegenseitig ausstellte. Wer letztendlich bei diversen Gerichtsverhandlungen überhaupt auf der Anklagebank landete und dann lange Haftstrafen bekam, das kann man sehr gut später im Film sehen...

Im Gegensatz zu den vielen möglichen Kriegsverbrechern, die frei 'rumlaufen, ist Michael Berg unschuldig. Die Gnade der späten Geburt... Michael ist verstört, als Hanna plötzlich verschwunden ist und völlig schockiert, sie ein paar Jahre später auf der Anklagebank zu sehen. Hanna, die Kriegsverbrecherin. Seine Hanna! Seine erste Liebe! Und er ist da in seiner Eigenschaft als Jura-Student, als "unbeteiligter" Zuschauer.

Doch auch Michael bekommt Gelegenheit, voll zu versagen. Der Zuschauer darf sich so seine Gedanken machen, ob Michaels Schweigen ein Akt der Selbstjustiz ist oder ob er an der gleichen Charakterschwäche leidet, die so viele Landsmänner und Frauen an den Tag gelegt haben, oder ob er lediglich meint, Hannas Geheimnis aus Respekt vor ihr bewahren zu müssen.

Hanna Schmitz ist eine Figur, die es uns ermöglicht, Sympathie und Mitgefühl für sie aufzubringen. Sie ist alleinstehend und kämpft sich durch, lebt ständig mit der Furcht, dass ihr(e) Geheimnis(se) auffliegen. Sie ist fleißig und doch - mit dem Lohn der Arbeit, der Beförderung, kann sie nichts anfangen. Sie will einfach nur ein kleines Rädchen sein und bleiben. Das ist viel sicherer. Keine Verantwortung tragen, keine Entscheidungen treffen müssen. Sie bestraft sich damit auch selbst. Immer auf den Beinen sein statt im warmen Büro sitzen.

Im Verlauf der Geschichte wird gezeigt, wie einfach es für die gebildeten "unbeteiligten" auf der Zuschauerbank ist, die Geschichte zu wiederholen - aus welchen Gründen auch immer. Da werden unbemerkt Entscheidungen getroffen, da wird dem tumben Richter freie Hand gelassen. Vielleicht will uns Schlink damit sagen, dass keiner unschuldig ist? Keiner ist unbeteiligt? Schweigen bedeutet nicht umsonst Zustimmung? Keiner kann sich entziehen, jeder trägt Verantwortung? Allerdings haben's nur die Zuschauer im Gerichtssaal so bequem, quasi als Richter dazusitzen und so zu tun, als hätten sie nichts mit der Geschichte zu tun bzw. als wären sie über alle moralischen Zweifel erhaben. Sie werden nicht zur Verantwortung gezogen. Moral und Gesetz sind zwei verschiedene Dinge, wie uns der Jura-Professor vermittelt. Ach so...

Kate Winslet hat ihren Oscar für die Darstellung der Hanna Schmitz redlich verdient. Auch David Hare (The Hours), der das Drehbuch schrieb, hätte dafür den Oscar verdient, muss sich aber nun damit zufrieden geben, wenigstens dafür nominiert worden zu sein (Daldry sitzt ja im gleichen Boot....). Regisseur Stephen Daldry (The Hours) hat u. a. die nicht ganz einfache Aufgabe, das ungleiche Liebespaar sympathisch zu machen, mit viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl gelöst. David Kross kann in Der Vorleser wirklich zeigen, was er drauf hat - und das ist schon recht beachtlich. Ralph Fiennes bringt den nachdenklichen/sensiblen/mit sich kämpfenden Michael Berg im Schlaf.

Die gefühlvolle Filmmusik von Komponist Nico Muhly unterstreicht sehr gut die diversen Szenen. >Der Vorleser Soundtrack. Hier kann man in alle 19 Titel 'reinhören.

Der Vorleser -- Genre: Drama -- deutscher Kinostart: 26.02.09, Deutschlandpremiere: 06.02.09 (Berlinale) -- FSK: ab 12 Jahren
Drehbuch: David Hare
Regie: Stephen Daldry

Der Vorleser Cast:
Hanna Schmitz - Kate Winslet
Michael Berg (erwachsen) - Ralph Fiennes
Michael Berg (Teenager) - David Kross
Rose Mather - Lena Olin (TV: Alias. Kino: Awake, demnächst: Devil You Know)
Mutter Carla Berg - Susanne Lothar (demnächst: Das weiße Band)
Vater Peter Berg - Matthias Habich

Der Vorleser -- deutscher Kino-Trailer (2:31)



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