06.02.2009

Glaubensfrage Kritik - Meryl Streep, Philip Seymour Hoffman


Wenn man es nicht besser wüsste, würde man vermuten, Glaubensfrage (OT: Doubt) sei das Remake eines Dramas aus den 60er Jahren. Das ist es allerdings nicht, sondern die Adaption des mit dem Pulitzer-Preis und dem Tony ausgezeichneten Bühnenstücks Doubt: A Parable von John Patrick Shanley, das 2004 uraufgeführt wurde. Shanley selbst schrieb das Drehbuch zu Glaubensfrage und führte auch Regie, letzteres stellte sich als Nachteil heraus. Das Drehbuch und die Leistungen von Meryl Streep, Amy Adams, Viola Davis und Philip Seymour Hoffman wurden für einen Oscar nominiert (siehe Oscar-Nominierungen)

Glaubensfrage spielt in einer katholischen Schule, wir schreiben das Jahr 1964. Schwester Aloysius (Meryl Streep, Mamma Mia!, demnächst: Julie & Julia) ist eine Nonne mit viel Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, die ihre Augen und Ohren überall zu haben scheint. Sie ist keiner der Menschen, die ihr Herz auf der Zunge tragen, ganz im Gegenteil. Ihre Fürsorge drückt sie in ihrer Strenge aus. Wie wir kurze Zeit später sehen, kämpft Schwester Aloysius wie eine Löwin, wenn sie befürchtet, dass einem ihrer Schützlinge Schaden zugefügt wird.

Vater Flynn (Philip Seymour Hoffman, Der Krieg des Charlie Wilson, Tödliche Entscheidung, demnächst: Synecdoche, New York) dagegen macht sich gerne beliebt. Er setzt sich mit den Jungs der Schule an einen Tisch und redet über ... Mädchen und Dating.

Schon gleich am Anfang sehen wir, wie die Hierarchie aussieht: Während die Nonnen genügsam ihr Gemüse verzehren und Milch oder Wasser dazu trinken, gibt's bei den Männern einen großen saftigen Braten und dazu Alkohol. Die Männer laben sich und ziehen dabei über Frauen her, z. B. eine übergewichtige Mutter aus der Gemeinde. Diese Szenen werden nebeneinander gestellt, wir sehen dahin und dorthin. Die Schwestern sind diszipliniert und reden über die Predigt. Sie unterstützen sich gegenseitig, wie man am Beispiel einer betagten Nonne sieht, deren Sehkraft nachlässt. Bei den Männern hat man eher den Eindruck, den berüchtigten "Boys Club" in Aktion zu sehen. Der Boys Club, der zusammenhält, wenn es darum geht, die Macht zu behalten und die Frauen in ihren untergeordneten Positionen zu halten. Erinnerungen an The Tudors werden wach, liegen in der Natur der Geschichte.

Schwester James (Amy Adams, Der Krieg des Charlie Wilson, Sunshine Cleaning, Nachts im Museum 2, demnächst: Julie & Julia) ist neu an der Schule und versucht, sich einzugliedern, was ihr sehr schwer fällt. Die Schüler tanzen ihr auf der Nase herum und James ist schlicht und einfach naiv und unbedarft. Doch ist es ausgerechnet James, die eine seltsame Beobachtung macht und diese an Aloysius weitergibt.

Es ist in diesem Moment, als der Verdacht zwar geäußert, aber nicht konkret verbalisiert wird, dass mich ein ungutes Gefühl beschleicht. Zum einen erinnert das unweigerlich an die Filme Infam und Infame Lügen, zwei Adaptionen des Stücks The Children's Hour von Lillian Hellman, und zum anderen wird nun klar, wie bequem und leicht es sich Shanley durch die Wahl des Jahrzehntes doch gemacht hat. Er braucht sich nicht mit neuerlichen Skandalen der katholischen Kirche zu genau diesem Thema auseinanderzusetzen, braucht nicht auf die Schadenersatzzahlungen einzugehen, die Maschinerie der Medien und Pressesprecher kann ignoriert werden, Klagen werden vermieden, etc.

Was Shanley statt dessen zeigt ist offen für die Interpretation durch den Zuschauer und so vage, dass ich es als enttäuschend empfand. Man kann, so man sich für die Materie interessiert, das Verhaltensmuster eines Täters erkennen. Schwester Aloysius spricht einen Aspekt kurz an: die Isolation des Opfers. Da der Schüler Donald (Joseph Foster) der erste und bisher einzige Afro-Amerikaner an der Schule ist, hat er die schwächste Position. Ein Gespräch mit dessen Mutter (Viola Davis, Das Lächeln der Sterne) illustriert das noch in schockierender Art und Weise. Außerdem unterhält sich Vater Flynn mit seinen Jungs auf einem für diese Altersgruppe unpassenden Level, hat Spielsachen parat und immer eine flapsige Antwort bereit. Wenn er jedoch keine Antwort hat und sich von Aloysius in die Enge getrieben sieht, fängt er an zu brüllen und wartet mit Drohungen auf. Er hat ja ziemliche Narrenfreiheit, ihm kann kaum etwas passieren. Andererseits ist ihm sein Status wichtiger als Aloysius, die ihre Werte vertritt, auch wenn's unangenehm wird.

Das Argument, mit dem Vater Flynn aufwartet, hört sich sehr rational und logisch an: Mangel an Beweisen. Das wird ja in derartigen Situationen immer gerne genommen. Sofern man die Gesundheit der Schüler riskieren will, könnte man darauf eingehen -- dabei muss man dann aber auch völlig vergessen, dass wir an einer katholischen Schule sind. Hier wird an etwas geglaubt, und zwar blind, an ein Buch und an eine althergebrachte, starre Hierarchie. Handfeste, verifizierbare Beweise sind nicht nötig. In diesem Kontext agiert Schwester Aloysius logisch, Vater Flynn ist fehl am Platz.

Vater Flynn ist ein Meister-Manipulator, der gerne von der erhöhten Kanzel Wasser auf die Gemeinde hinunterpredigt und fünf Minuten später Wein trinkt. Ist er das lästige Laub, das mit dem Wind hereinweht und wieder entsorgt werden muss?

Schwester James, die enthusiastische Neu-Nonne, die noch aus großen blauen Augen die Welt gerne so sieht, wie sie sie sich wünscht, ist völlig verloren. Sie ist total überfordert in einem Umfeld, das unerwartet auch Konflikt enthält. Mit ihr hat Flynn leichtes Spiel, sie will ja von ihm überzeugt werden. Sie ist bereit, ihr Gefühl unter den Teppich zu kehren und ihre Intuition zu verleugnen, damit nur ja wieder Friede einkehrt, was den Glauben vereinfacht. Sie steht zwischen dem Glauben und der Welt im Niemandsland. Man könnte ihr die Wiederauferstehung Christie heute genausogut verkaufen wie die Aussage, dass das völliger Schwachsinn ist, ein Houdini-Akt. Man muss es ihr nur richtig verkaufen und ihr sagen, dass sie lieb und nett und ein gutes Mädchen ist.

Unterm Strich betrachtet hätte Glaubensfrage von einem anderen Regisseur, einem frischen zusätzlichen Blickwinkel sicherlich profitieren können. Ein Blick auf den Schulhof und die Straße unterstreicht nur die relative Bewegungslosigkeit und Einfallslosigkeit in Bezug auf die einzelnen Shots.

Glaubensfrage spricht offensichtlich diejenigen Zuschauer an, die einfache und wiederkehrende Metaphern schätzen. Der Wind (also The Wind of Change) wird doch sehr bemüht und ist alles andere als subtil. Das gleiche gilt auch für die Glühbirne. Diese Holzhammer-Methode fällt im Theater nicht auf bzw. ist sogar usus, doch für den Film hätte sich Shanley etwas anderes einfallen lassen können, da hat man doch viel mehr Möglichkeiten. Das Spielzeug, das Flynn für Donald bereit hält, ist da schon interessanter. Eine Ballerina, die nach der Pfeife des Spielenden tanzen muss, sich dahin bewegt, wo er sie hinhaben will, wenn er ihr nur den Spiegel vorhält. Das macht viel Sinn, wenn man an Flynns manipulative Predigten denkt.

Interessant ist, Glaubensfrage in Zusammenhang mit Infam und Infame Lügen und dessen Entstehungsgeschichte zu sehen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass diese beiden Filme in ihrer Aussage deshalb so verändert bzw. verhalten waren, weil es zu der Zeit nicht anders möglich war, dann muss man sich auch die Fragen stellen, die mich am meisten beschäftigt haben:

Es ist 2009 und Glaubensfrage ist der Film, der unserer Zeit entspricht? Weiter sind wir noch nicht gekommen? Wir nehmen ein wichtiges Thema und legen das so mainstream auf (man spekulierte wohl auf Oscar für Bester Film), dass man das Ganze in den 60ern ansiedeln muss? Hoffte man darauf, dass die Weigerung, eine klare Position zu beziehen und Antworten zu geben wieder einmal als künstlerisch wertvolles "offenes Ende" bewertet wird und man ein Sternchen dafür bekommt?

Was mit Flynn am Ende des Films geschieht ist Zynismus vom Feinsten, der allerdings der Realität - sogar in bestätigen Fällen - entsprechen soll. So würde ich gerne glauben, dass der Zweifel (engl. Doubt, wie der OT), den Aloysius hegt, sich nicht auf ihren Glauben bezieht oder auf die Schuldfrage, sondern auf die Institution der katholischen Kirche (der sie sich ihrem Glaubensbekenntnis nach zu unterwerfen hat, als sei es keine von Menschen geführte Organisation).

Fazit: Shanley hat in Glaubensfrage absolut nichts Neues zu sagen ... zu wenig, zu wischi-waschi, viel zu mainstream, den eigenen Stil 'mal wieder viel zu wichtig genommen, weil hey, wir machen hier K-u-n-s-t- - ein feiger Film, den man nicht gesehen haben muss.

Das erstaunt: FSK ab 6 Jahren. In den USA ist der Film wegen der Thematik erst ab 13 Jahren freigegeben, was für mich völlig nachvollziehbar ist. Kein Sex, keine Gewalt, ergo FSK 6?

Der Trailer zum Film (deutsch + englisch) ist hier: > Glaubensfrage

Glaubensfrage - Genre: Drama - deutscher Kinostart: 05.02.09 -- FSK: ab 6 Jahren
Drehbuch: John Patrick Shanley (Mondsüchtig, Überleben!) basierend auf seinem Theaterstück.
Regie: John Patrick Shanley (Joe gegen den Vulkan)

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