24.07.2009

Selbst ist die Braut Kritik + Trailer

Nach langer Abstinenz vom Genre überrascht uns Sandra Bullock jetzt mit der ebenso amüsanten wie feinfühligen und berührenden romantischen Komödie Selbst ist die Braut. Die besten und erfolgreichsten Vertreter des Genres erzählen mit viel Humor Geschichten über Figuren, die wir als Menschen erkennen - ihre Lebensgeschichte und die daraus resultierenden Stärken und Schwächen sind für den Zuschauer ebenso nachvollziehbar wie die Entwicklung, die der Mensch im Laufe des Films durchmacht. Margaret Tate ist solch eine Figur, die von Sandra Bullock (Blind Side - Die große Chance) in einer exzellenten Performance verkörpert wird.

Margaret ist eine erfolgreiche Macherin. Sie arbeitet als Lektorin bei einem New Yorker Verlag und macht dort das Unmögliche möglich. Neuestes Beispiel: Margaret überredet einen Autoren, der seit 20 Jahren noch nicht einmal ein Interview gegeben hat, zu einem TV-Auftritt. Eigentlich hätte Bob Spaulding (Aasif Mandvi, Wen die Geister lieben) den Auftritt klarmachen sollen, doch der hat sich nicht bewegt. Margaret feuert ihn hinter verschlossener Tür, und zwar höflich und zu höchst humanen Konditionen. Trotzdem hat sie in ihrer Abteilung einen denkbar schlechten Ruf. ES ist im Anmarsch! warnen sich die Mitarbeiter per IM, sobald sie im Verlag gesichtet wird, und stürzen sich auf die Arbeit.

Wie hält es Andrew Paxton (Ryan Reynolds, X-Men Origins: Wolverine, Adventureland) nur aus, seit bereits 3 Jahren Margarets Assistent zu sein? Sie sind ein Dream-Team, bei dem alles rund läuft. Das bedeutet, dass Andrew eine Menge über Margarets Vorlieben und Bedürfnisse weiss, viel Privates mitbekommt, und Margaret über ihn nichts wissen muss, außer dass er seinen Job zu ihrer Zufriedenheit erledigt. Das Verhältnis, so professionell es auch sein mag, ist doch ein sehr intimes, das viel Vertrauen abverlangt.

Margarets Erfolg kommt nicht von ungefähr. Wie wir im Laufe des Films erfahren, hat sie bereits mit 16 Jahren ihre Eltern verloren und keine lebenden Verwandten. Sobald wir das wissen, verstehen wir Margaret. Wir erkennen sie als einen Menschen, der viel zu früh erwachsen sein musste, sich durchkämpfen musste, allein und auf sich gestellt, ohne Unterstützung. Solche Menschen sind oft verdientermaßen extrem erfolgreich, weil sie extremen Einsatz bringen.

Dann die Katastrophe: Margaret hat sämtliche Termine, Deadlines und Vorschriften ignoriert und nun droht ihr, der Kanadierin, die Abschiebung und die Arbeitslosigkeit, wie ihr ihr Boss (Michael Nouri, TV: Damages) mitteilt. Mit genial wenigen Worten wird ihre Situation erklärt. Wer das realistische Drama Crossing Over mit Harrison Ford schon gesehen hat, der hat gegenüber Margaret einen Wissensvorsprung und ahnt nichts Gutes.

Margaret reagiert blitzschnell und lügt ihrem Boss vor, dass sie mit Andrew liiert wäre und die beiden bald heiraten wollen. Also gibt es kein Problem, reine Formsache, versichert sie ihrem Boss und wohl auch sich selbst. Selbstverständlich erwartet der völlig vor den Kopf geschlagene Andrew ein klärendes Gespräch unter vier Augen. Margaret bleibt stumm. Sie kann ihm kaum in die Augen sehen, denn sie hat Angst. Wenn er sich jetzt quer stellt, fällt ihr ganzes Leben zusammen wie ein Kartenhaus und sie ist völlig aufgeschmissen. Es gibt nichts, wohin sie zurückkehren kann. Sie macht genau das, was sie in ihrer Jugend gelernt hat: sie kämpft. Andrew darf nicht Nein sagen, darum gibt sie ihm gar nicht erst die Möglichkeit dazu, sondern setzt ihn unter Druck. Sie holt tief Luft für die Performance ihres Lebens und gibt weiter die toughe Chefin.

Andrew spielt mit und riskiert damit Knast und Geldstrafe. Der Einwanderungsbeamte Gilbertson (Denis O'Hare) bekam einen Tipp und lässt die von beiden erwartete Unkompliziertheit vermissen.

Diese Szene auf der Einwanderungsbehörde ist super gemacht. Margaret demonstriert diese unwissende Arroganz, die man nur bei gebildeten Einwanderern aus "reichen Ländern" antrifft, die dementsprechend keine größeren Probleme mit der Behörde erwarten. Während des Interviews sehen wir im Hintergrund einen weniger privilegierten Einwanderer, der in Handschellen abgeführt wird.

Margaret und Andrew erfinden aus dem Stand in wunderbarer Teamarbeit ein Märchen für Gilbertson. Andrew nutzt die Gelegenheit und präsentiert während seines Teils der Erzählung Margaret seine Konditionen. Damit wird nicht nur gezeigt, wie gut die beiden harmonieren, sondern auch, dass sie ebenbürtige Partner sind. Nebenbei erkennen wir auch, dass beide den für sie perfekten Beruf haben - bei der Liebe zur Fiktion...

Auf geht's nach Sitka, Alaska, wo Andrews Familie lebt, die man über die Verlobung informieren muss, um der Scheinehe die nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen. Doch in Sitka ist Margaret völlig überfordert. In New York hat sie alles unter Kontrolle. Dort legt sie jeden Tag ihre Rüstung (ein äußerst seriöses schwarzes Kostüm) an, stöckelt in super-high heels durch's Büro, die sie nicht nur größer machen, sondern ihr auch den Hauch von "sexy Weiblichkeit" geben, den eine Karrierefrau heutzutage immer noch haben muss, wenn sie keine Angriffsfläche bieten will, und bindet ihre Haare zu einem strammen Pferdeschwanz zusammen. In Sitka ist sie gezwungen, ihre einengende, aber auch schützende Rüstung abzulegen und die high heels auszuziehen. Als sie auch noch ihr Handy verliert, steht sie kurz vor'm Nervenzusammenbruch. Sie hat hier keine Kontrolle mehr, fühlt sich völlig ausgeliefert. Panik! Nur gut, dass Andrew keine große Sache daraus macht.

Andrews Mutter Grace (Mary Steenburgen, Stiefbrüder, Mein Schatz unsere Familie und ich) und auch die Oma Annie (Betty White, TV: Golden Girls, Boston Legal) sind bereit, Margaret in die Familie aufzunehmen. Sie geben für sie eine Bachelorette-Party mit Sitkas einzigem Stripper, Ramone (Oscar Nuñez, TV: The Office), bringen ihr das Frühstück an's Bett und vertrauen ihr ein Erbstück an. In Margaret ruft diese Aufmerksamkeit und Fürsorge Erinnerungen und Gefühle wach, gegen die sie anzukämpfen versucht. Schließlich ist alles nur eine Scharade, die irgendwann ihr Ende finden wird.

imageBetty Whiteals liebenswert-exzentrische Oma, die das Kulturgut der Tlingit-Vorfahren in Ehren hält, ist der absolute Brüller. Frau White hätte durchaus verdient, an dritter Stelle in den Credits genannt zu werden. Es wäre keine Überraschung, wenn sie für ihre herausragende Leistung hier mit einer Oscar-Nominierung belohnt werden würde. (Im Foto links: Reynolds, White und Bullock bei der Weltpremiere des Films in LA) Auch Oscar Nuñez wirft sich in seine Performance als dörflicher Chippendale-Verschnitt, Knieschützer inbegriffen, der bei Margaret nur ungläubiges Staunen hervorruft.

Andrews Vater Joe (Craig T. Nelson, Die Eisprinzen. TV: The District) ist das einzige Familienmitglied, dem es gar nicht passt, dass sein Sohn "nur Assistent" ist und jetzt auch noch seine Vorgesetzte heiraten will. Schön gemacht, dass er mit dieser Doppelmoral aufwartet und nicht das mittlerweile ausgelutschte Thema des Altersunterschieds anspricht, das selbst bei der diesjährigen Berlinale auffällig oft thematisiert wurde [allerdings öfter uninteressant (Chéri) oder unvollendet (An Education) als wirklich spannend (Pippa Lee)].

imageÜberhaupt beeindruckt Selbst ist die Braut damit, ohne die fast schon erwarteten Klischees auszukommen. So taucht zum Beispiel Andrews Ex-Freundin Gertrude (Malin Akerman, Nach 7 Tagen - ausgeflittert) ein paar Mal auf, spielt aber keine große Rolle. Auch die durch das Foto rechts entstandene Befürchtung, dass wieder eine Frau in einer romantischen Komödie von einem Mann in die Knie gezwungen und lächerlich gemacht werden muss, bevor sie sich diesem dann letztlich in die gnädigen Arme werfen darf, stellte sich als unbegründet heraus.

Drehbuchautor Pete Chiarelli hat die goldene Regel beachtet - liebe deine Figuren, und zwar alle - und eine schöne Liebesgeschichte erzählt, die von Anfang bis Ende Sinn macht. Vom Anfang, an dem Andrew auf einen Deal eingeht, den er gar nicht nötig hat, bis zum Ende, an dem Margaret ihren Durchbruch schafft. Vermutlich ist sie jetzt tatsächlich im Stande, ihre Tätowierung entfernen zu lassen.

Selbst ist die Braut ist Autor Pete Chiarellis erstes produziertes Drehbuch. Bisher hat Chiarelli hauptsächlich als Produzent gearbeitet und hat in dieser Funktion drei weitere Projekte in der Pipeline. Vielleicht motiviert ja der Erfolg von Selbst ist die Braut (allein in den USA über $ 130 Mios. in den ersten fünf Wochen) dazu, weiter zu schreiben.

Das schwächste Glied bei Selbst ist die Braut ist Regisseurin Anne Fletcher. Sie versagt besonders auffällig bei ihren Close-Ups von Ryan Reynolds, aber auch die als emotionalen Höhepunkt angelegte Szene auf dem Boot hat sie völlig versiebt, wodurch die Szene viel von ihrem Powerpotenzial verliert. Für Fletcher ist dieser Film das dritte Projekt nach 27 Dresses und Step Up, bei dem sie Regie führte. Weshalb man der relativ unerfahrenen und nicht übermäßig begabten Fletcher dieses Projekt überhaupt anvertraut hat, ist nicht ersichtlich. Der Erfolg von Selbst ist die Braut ist auf die Geschichte und die sympatischen Stars zurückzuführen.

Selbst ist die Braut -- Genre: romantische Komödie - deutscher Kinostart: 30.07.2009 -- Länge: 108 Minuten -- FSK: Keine Altersbeschränkung
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